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  • AutorenbildSissy

Das Ding mit der Erziehung

Erziehung ist keine einfache Sache. Auf der einen Seite heißt es "jeder so wie er meint". Auf der anderen Seite aber redet einem jeder rein.

Welchen Weg man für sich und seine Familie als sinnvoll und richtig erachtet, muss letztlich tatsächlich jeder für sich selbst entscheiden. Das kann von außen keiner bestimmen; außer, die Eltern holen sich Rat aus ihrem Umfeld oder von Experten. Doch leider kommt der Rat häufig ungefragt, ob von der Familie oder - noch schlimmer - von Fremden.

Die aktuelle Generation von jungen Eltern mit Kleinkindern hat es da gerade besonders schwer.

Einerseits strebt sie nach Gleichwürdigkeit in der Beziehung zum Kind, andererseits sind da all die rigiden Vorstellungen der Gesellschaft, wie Kinder sich zu verhalten haben. Bei einem Wutanfall des Kindes in der Öffentlichkeit ist von "du hast aber eine gemeine Mama, die dir das Eis nicht kauft!" bis "da muss man mal ordentlich durchgreifen!" alles dabei. Das viele Menschen, besonders solche der älteren Generation, damit indirekt von Gewalt sprechen, wird manch einem erst bewusst, wenn man es direkt anspricht. "Sie meinen also, ich soll mein Kind schlagen?" Schweigen. Denn so direkt will es dann doch keiner sagen. Gemeint ist es dennoch.

Viele unserer Großeltern und manchmal auch noch Eltern sind eben so ganz anders groß geworden. Gewalt an Kindern ist erst seit dem Jahr 2000 per Gesetz verboten. Und so ein Klaps, der schadet doch keinem.

Schadet es wirklich nicht?

Wenn man mal genau hinsieht, tut es das eben doch. Denn die Prägungen aus unserer Kindheit bleiben ein Leben lang bestehen - auch und vor allem die negativen. Nicht ohne Grund haben Psychotherapeuten und psychologische Berater Hochkonjunktur. Die Thematik des inneren Kindes bekommt immer mehr Interesse.

Bindungsängste, nicht Nein sagen können, Emotionen nicht zeigen können, ein Gefühlsleben wie das norddeutsche Plattland - all das und einiges mehr lässt sich auf Erfahrungen in der frühen Kindheit zurückführen. Dafür ist es egal, ob wir von physischer oder verbaler oder emotionaler Gewalt gegenüber Kindern sprechen.

Es hinterlässt seine Spuren. Auf der Seele.

Den meisten ist es einfach nur nicht bewusst.

Verweichlicht, allesamt!

Gepaart mit Respektlosigkeit wird dies häufig der Jugend vorgeworfen. Weder fremdes Eigentum noch andere Menschen werden respektiert, Grenzen ohne Rücksicht überschritten. Junge Erwachsene Anfang 20 erkranken an Burnout. Sie halten nichts aus, sind keinem Stress gewachsen.

So kann man das in etwa zusammenfassen. Und tatsächlich ist diese Meinung gar nicht so verkehrt. Allerdings hat auch dieser Zustand eine Ursache.

Mal abgesehen von den Eltern, die einfach nur nicht so richtig Lust haben sich ernsthaft mit dem Nachwuchs auseinanderzusetzen und ihn einfach machen lassen bzw. der Meinung sind, dass ja Erzieher und Lehrer den Job haben, die Kinder großzuziehen, gibt es da auch noch eine andere Sorte Eltern.

Die, die antiautoritär erziehen. Die ihren Kindern keine Regeln, keine Grenzen vorgeben, außer den "natürlichen Konsequenzen", die sich aus ihrem Handeln eben ergeben. Die Früchte dieser Erziehung ernten wir aktuell, und sie sind nicht unbedingt süß und saftig.

Doch auch das hat einen Grund. Denn viele Eltern, die diesen Weg eingeschlagen haben, taten dies unter der Voraussetzung, dass sie in ihrer Kindheit strenge Regeln, Grenzen und mindestens verbale/emotionale Gewalt erleben mussten - wenn nicht sogar physische. Sie leben antiautoritär, weil sie all dies vermeiden wollen. Natürlich gibt es auch die, die einfach mal mitgemacht haben, weil es gerade "in" war.

Mittlerweile wird dieser Weg nur noch selten besprochen, viele wollen ihre Kinder nicht mehr einfach nur sich selbst überlassen. Und das ist definitiv gut so.

Und was machen die Eltern heute?!

Das ist eine gute Frage, auf die es gar keine richtige Antwort gibt. Denn das Verständnis von "Erziehung" erfährt gerade einen Wandel, das Wort wird neu definiert.

Manche lehnen das Wort ganz ab, da sie Erziehung als Form von Gewalt verstehen - unter dem Aspekt, dass man die Kinder in eine Form pressen und aus ihnen einen Menschen machen will, der irgendwelchen Vorstellungen der Gesellschaft entspricht.

Ich persönlich spreche schon von Erziehung, wie die meisten Eltern heutzutage. Doch ich spreche eben nicht von autoritärer Erziehung, bei der sinn- und zusammenhanglose Strafen verhängt werden wenn das Kind nicht "pariert" oder bei der das Kind mit seinen negativen Gefühlen und Erfahrungen sich selbst überlassen wird.

Die meisten Eltern, die ich bisher kennen lernen durfte, die ebenfalls kleine Kinder unter 4 Jahren haben, leben tatsächlich bedürfnisorientiert. Die Kinder bekommen durchaus Konsequenzen zu spüren - aber eben solche, die aus ihrem Verhalten natürlicherweise entstehen. So, wie jeder Erwachsene eben die Konsequenzen tragen muss, die er selbst verursacht. Oder darf Euer Partner seine Lieblingsserie nicht schauen, weil er sein Geschirr nicht abgewaschen hat?! Wohl eher lasst ihr ihn die Konsequenz spüren: das nächste Mal hat er halt keinen Teller, auf den er sein Essen legen kann.

Die Kinder werden nicht mit ihren Gefühlen allein gelassen, wenn sie einen Gefühlsausbruch haben. Sie werden von ihren Eltern begleitet, von außen reguliert, ohne dass die Eltern nachgeben und doch einen Keks rausrücken. Und das hat genau ein Ziel: die Resilienz der Kinder zu fördern. Denn Kinder, die angemessen fremdreguliert werden, entwickeln sehr gute Selbstregulationsfähigkeiten - heißt, als Erwachsene kommen sie viel besser mit Stress und Rückschlägen klar als die Kinder, die regelmäßig "stell dich nicht so an" zu hören kriegen.

Die Kinder lernen, was Empathie ist. Und das ist tatsächlich Mangelware geworden. Die meisten Menschen trampeln über andere hinweg, ohne sich nur einmal zu fragen, wie es dem anderen wohl gehen mag. Ob es tatsächlich an mangelnder Empathie liegt oder es den meisten einfach nur egal ist, sei mal dahin gestellt. Tatsache ist, dass Kinder, die durch ihre Eltern die volle Palette positiver und negativer Emotionen kennen lernen, können später empathisch durchs Leben gehen, haben Verständnis für andere und können sich in sie hinein versetzen.

Gleichwürdigkeit wird in diesem Zusammenhang groß geschrieben. Kinder sind Menschen, sie haben eine Würde, genauso wie jeder Erwachsene. Sie haben das Recht, dass man sie respektiert, wie sie sind, statt sie zu zwingen etwas zu sein. Ebenso rückt man von absoluten Gehorsam ab. Denn jemand, der immer nur tut was er gesagt bekommt, wird das sein ganzes Leben lang brauchen.

Das Paradox unserer Zeit

Kinder sollen leise sein, tun was man ihnen sagt. Absoluter Gehorsam wird von ihnen erwartet, keine Widerworte. Selbst denken ist auch eher wenig erlaubt, schließlich kann dabei nichts rauskommen.

Erwachsene jedoch sollen ihren Weg gehen, Rückgrat zeigen und für etwas einstehen. Sie sollen sich durchsetzen und auch mal auf den Tisch hauen, wenn ihnen etwas nicht passt.

Versteht ihr, was ich meine? Wie soll aus einem Kind, dass respektlos und herablassend behandelt wird, von dem man uneingeschränkten Gehorsam fordert, zu einem starken Erwachsenen werden? Kinder lernen aus Beispielen, aus der Art und Weise, wie man ihnen gegenüber tritt, wie man sie behandelt. Mit dieser Erkenntnis wird einem dann so einiges klar, wenn man sich die "Jugend von heute" anschaut.

Das, was von vielen als Erziehung so verschrien wird, sorgt dafür, dass wir in Zukunft eine Gesellschaft haben die etwas bewegt.

Keine Masse von Ja-Sagern und Drückebergern, von empathielosen Trampeltieren und rückgratlosen Idioten.

Unsere Kinder werden ihre Ziele verwirklichen, einstehen für ihre Wünsche und Bedürfnisse und tatsächlich etwas verändern. Einfach aufgrund dessen, dass wir Eltern ihnen das mitgeben, was noch viele von uns und die meisten aus den Generationen vor uns gar nicht bekommen haben.

Und um den Kreis zu schließen: all die Dinge, die unsere Kinder von dieser aktuellen Elterngeneration lernen, erarbeiten sich tausende Erwachsene tagtäglich - bei Therapeuten, Coaches oder in den eigenen vier Wänden mit entsprechender Literatur.

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